Etwas ganz Neuartiges habe er noch im Programm, kündigte der britische Schatzkanzler Rishi Sunak im Parlament am Mittwoch an. „Die letzte Maßnahme, die ich heute ankündige, ist in Großbritannien noch nie probiert worden, aber die Zeiten sind ohnegleichen, wir müssen kreativ sein.“
„Eat out to help out“ hat Sunak die neue Maßnahme getauft, „ausgehen, um zu helfen“. Wer im August in einem Restaurant, Pub oder Café essen geht, kann zum halben Preis speisen. Der Differenzbetrag werde teilnehmenden Gastronomen binnen fünf Tagen vom Finanzministerium erstattet.
Die Bedingungen: Pro Person gilt eine Obergrenze von zehn Pfund (11,09 Euro), das Angebot steht nur von Montag bis Mittwoch zur Verfügung, Gerichte zum Mitnehmen fallen nicht darunter. Auch Getränke fallen unter die Regel. Alkohol hat der Finanzminister, der selbst abstinent lebt, aber ausgelassen, zum Bedauern der vielen Pubs im Land.
Zusätzlich soll Gastronomie, Hotellerie und Freizeitindustrie auch ein begrenzter Mehrwertsteuerschnitt entlasten. Die Abgabe wird für sechs Monate von 20 auf fünf Prozent gekürzt.
Kurzarbeit läuft aus
So hofft Sunak, die Engländer, die nach 15 Wochen Lockdown erst seit dem vergangenen Wochenende in Restaurants essen dürfen, zum Ausgehen zu ermuntern. 130.000 Unternehmen und 1,8 Millionen Angestellte sollen profitieren.
Großbritannien geht durch eine schwere Corona-Krise. Das Land hat erst spät eine Ausgangssperre verhängt, kam mit dem Testen nicht hinterher. Hohe Corona-Infektionszahlen und eine im internationalen Vergleich erhebliche Sterblichkeitsrate waren die Folgen.
Jetzt zeichnet sich das nächste Problem ab: ein drastischer Wirtschaftseinbruch. Die OECD sieht das Land mit einer Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung um 11,5 Prozent im Gesamtjahr als Wachstumsverlierer in Europa, falls nicht sogar noch eine zweite Infektionswelle kommt.
Besonders groß ist die Sorge auf dem Arbeitsmarkt. Ein staatliches Kurzarbeitsmodell, das das Land erstmals eingeführt hat, zahlt derzeit noch die Gehälter von rund neun Millionen Angestellten. Im Oktober soll es auslaufen, kündigte Sunak an.
Doch für alle Angestellten in Kurzarbeit, die bei ihrem bisherigen Unternehmen weiter beschäftigt werden, steht der Firma ein „Joberhaltbonus“ von 1000 Pfund pro Person zu.
Keine makroökonomische Antwort
Jungen Menschen am Einstieg ins Berufsleben, die von einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen besonders betroffen sein dürften, soll zudem ein sogenanntes Kickstarter-Programm helfen. Für bis zu 300.000 Briten zwischen 16 und 24 Jahren übernimmt das Finanzministerium für sechs Monate die Gehälter, um so eine „Generation Covid“ zu vereiteln.
Um den für das Land sehr wichtigen Immobilienmarkt einen Schub zu geben, wird auch der Grenzwert, ab dem bei Transaktionen eine Stempelsteuer fällig wird, deutlich von 125.000 Pfund auf 500.000 Pfund angehoben.
Sunaks Rede war seit Tagen als zusätzlicher Haushalt gehypt worden. Der Schatzkanzler betonte jedoch, dass es sich bei den Maßnahmen, die bis zu 30 Milliarden Pfund kosten, um einen Zwischenschritt handele. Im Herbst stehe eine Aktualisierung des Haushalts an.
Eine makroökonomische Antwort für die aktuellen Wirtschaftsfragen seien die Maßnahmen nicht, urteilt Torsten Bell, Geschäftsführer der Denkfabrik Resolution Foundation. Sunak setze darauf, dass das bis zum Herbst warten könne. Vielmehr handele es sich um in einer Rezession klassische Maßnahmen, verbunden mit einem begrüßenswerten Fokus auf einzelne Sektoren.
„Der Kanzler hat zwar ein paar Kaninchen aus seinem Hut gezogen, aber viele Unternehmer werden das Gefühl haben, dass sie einen Trick verpasst haben“, sagte Jonathan Geldart, Geschäftsführer der Arbeitgeberorganisation Institute of Directors. Er meint, es sei zwar verständlich, dass das Finanzministerium den Fokus auf junge Leute und stark betroffene Branche richte.
Das Problem sind die Sicherheitsvorschriften
„Aber das Coronavirus hat viele Teile unser Wirtschaft gelähmt.“ Vor allem Unterstützung für kleinere Unternehmen mahnte Geldart dringend an.
Auch den Fokus auf Gastronomie und Hotelgewerbe mahnten Beobachter an. „Ein Mehrwertsteuerschnitt nur für Gastgewerbe und Tourismus übersieht Branchen wie den Einzelhandel und die Luftfahrt, die nach zusätzlicher Hilfe schreien“, sagte Marvin Rust vom Restrukturierungsexperten Alvarez & Marsal. Firmen seien als Folge der Pandemie regelrecht paralysiert und die Regierung gehe mit ihren Anstrengungen nicht weit genug.
Selbst die Speisen zum halben Preis könnten die falschen Anreize bieten, warnen die Volkswirte des angesehenen National Institute of Economic and Social Research.
Gutscheine oder eine reduzierte Mehrwertsteuer als Anreize für den Konsum in Bars und Restaurants seien nicht der wirksamste Weg, der Branche zu helfen. Deren Problem seien weniger die fehlende Nachfrage als vielmehr die Schwierigkeiten, die Gäste im Einklang mit den neu geltenden Sicherheitsvorschriften zu bedienen.
Wenigstens für den Sommer zeichnet sich dabei ein wenig Entspannung ab. Die Vorschriften zur Raumordnung wurden deutlich gelockert. Im ganzen Land können Einkaufsstraßen zumindest übergangsweise gesperrt werden und die Hauptstraßen zu erweiterten Terrassen für Restaurants, Cafés und Pubs werden.
July 09, 2020 at 12:22AM
https://ift.tt/3eb86zZ
Britisches Konjunkturpaket: Pizza und Burger zum halben Preis - WELT
https://ift.tt/2NR4yYY
Pizza
No comments:
Post a Comment